22. Der Zeitfaktor(Warum gibt es immer Druck, wenn Frauchen die Zeitung holt?)Stellen Sie sich vor, daß ein Hund nach seinem Frauchen schnappt, weil sie ihn vom Sofa befördern wollte. Sie will ihn bestrafen, was dann auch angemessen wäre, denn das Schnappen darf ja nicht zur Gewohnheit werden. Sie geht also los, sucht sich eine Zeitung, um das Tier damit zu züchtigen, weil, wie es so schön heißt, „man Hunde niemals mit der Hand bestrafen darf“. Sie findet die Zeitung, kommt wieder und nun gibt es einen Klaps. Was der Hund sich jetzt denken wird ist ungefähr Folgendes: „Komische Leute hier... wenn man sie beißen will, sagen sie nichts, aber immer wenn sie mit der Zeitung ankommen, gibt es Druck“. Nun, Hunde beziehen sowohl die Strafe als auch die Belohnung unmittelbar auf den Augenblick, auf den gegebenen Ist- Zustand. Wir müssen daher, wenn wir eine Verhaltensweise verstärken oder löschen wollen, sie in dem Moment, sofort und unmittelbar belohnen oder bestrafen. Verzögerte Erziehungsmaßnahmen haben keinen Effekt oder stiften sogar Verwirrung, weil der Hund sie nicht mit dem, was er vorher getan hat, in Zusammenhang bringen kann. Das Tier, das unserem Beispiel nach Frauchen geschnappt hat, sollte entweder sofort und postwendend bestraft werden oder gar nicht. Ihm eine Scheu vor der Zeitung anzuerziehen, kann jedenfalls nicht Sinn und Zweck der Übung sein. Ob nun an der Strafe Frauchens hand beteiligt ist oder nicht, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Hundemütter suchen sich schließlich auch keine Zeitung, um ihre kleinen Rangen zur Räson zu bringen. Sie benutzen dafür auch ihre Maul und ihre Zähne, aber das prompt und resolut. Und Letzteres ist wiederum ein Punkt, der das Strafen an sich so heikel macht. Deswegen sollten wir versuchen, Hunde grundsätzlich lieber über die Verstärkung der erwünschten, anstatt über die Bestrafung der unerwünschten Verhaltensweisen zu erziehen. Wenn wir schon bestrafen, muß es nicht nur sehr prompt passieren, sondern auch mit Nachdruck. Der Hinweis, daß man dieses und jenes nicht gut findet, ist keine Strafe. Darüber hinaus muß die Bestrafung sofort aufhören, wenn das Tier klein beigibt. Wir müssen also in der Lage sein, unterwürfige Signale des Hundes mitten in der Aktion wahrzunehmen und uns augenblicklich umzustellen. Dies alles zu beachten, wenn man ohnehin verärgert und enttäuscht ist, ist manchmal gar nicht einfach. Für das obige Beispiel hieße das etwa Folgendes: Der Hund schnappt nach Frauchen. Diese, nicht faul und in diesem Falle recht beherzigt, holt augenblicklich aus und gibt ihm eine schallende Ohrfeige, nimmt ihn sofort am Nackenfell und drückt ihn zu Boden. Wenn jetzt der Hund nachgibt, wenn er an Widerstand nachlässt, wenn er sich auf den Rücken legt und winselt, dann muß sie innehalten. Sie muß wissen, daß sich ich das Tier maximal untergeordnet hat und daß sich dies nicht mehr steigern läßt. Mehr als sich passiv zu unterwerfen, d.h. wehrlos auf dem Rücken liegen zu bleiben, kann ein Hund nicht tun. Jede weitere Bestrafung wäre in solch einem Fall sinnlos und nur Quälerei. Schimpft oder straft sie jetzt etwas weiter, wird das Tier daraus folgern, daß es keinen Unterschied macht, ob es schnappt oder sich unterwirft. Und warum sollte es dann nicht beißen? Lieber Hundefreund, wenn Sie stolzer neuer Besitzer eines Handvoll-Yorkshire-Terriers sind, dann werden sie diese Zeilen mit Recht befremden. „Schallende Ohrfeigen“ kämen für Sie dann verständlicherweise nicht in Frage. Es gibt jedoch Hunde, die allein schon wegen ihrer Größe und Körperkraft oder wegen ihres Temperaments in bestimmten Momenten darauf angewiesen sind, daß wir Menschen ihnen deutliche Grenzen weisen. Solche Tiere finden sich sonst mitunter in der Rolle des Beißers wieder, sie werden womöglich zu „Bestien“ erklärt und können selbst am allerwenigsten dazu. Unter Umständen dürfen sie nur noch an der Leine und mit Maulkorb ausgeführt erden, oder sie werden in Tierheime abgegeben, manchmal sogar wegen Unhaltbarkeit und akuter Gefährdung ihrer Umgebung eingeschläfert. Wie hätte einem solchen Hund, von seinen Opfern ganz zu schweigen, besagte schallende Ohrfeige im richtigen Moment helfen können! Und dennoch: Sie haben gemerkt, daß gerade die Bestrafung eines Hundes eine äußerst heikle Sache ist. Sie erfordert vom Menschen Schnelligkeit, Mut und vor allem Disziplin und Verstand. Und sie darf niemals in rohe und sinnlose Gewalt ausarten.
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